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widerBesseresWissen

27. Juni 2012

Prof. Dr. Jürgen Udolph sprach über Ortsnamen im Umkreis von Bad Harzburg und Goslar.

12. Mai 2012

Wie alt ist Langelsheim?

Ziemlich alt. Es gibt Funde aus der Steinzeit vom Röseckenbrink. War was dabei, was sich C14-datieren läßt? Das Megalith-Grab bei Bredelem wird auf 5.000 - 5.500 Jahre alt geschätzt. Die Kansteinburg heißt es, hat von 800 bis 1000 die am Nordharz verlaufende Ost-West-Verbindung geschützt. Das wären, wenn wir die Steinzeit gelten lassen, gut 3-5000 Jahre, müßten es Bauwerke sein, sind es noch 1200 Jahre.

Urkunde_Jahr_1000

Die eigentliche Frage ist: wann wurde Langelsheim erstmals auf einer Urkunde erwähnt? Daraus leiten sich die 100- und 1000-Jahr-Feiern ab.

Welches ist die älteste Urkunde in der Langelsheim erwähnt wird?

Ernst Stolte und E. Henning Stolte haben 1982 in "Langelsheim - Beiträge und Hinweise zur Geschichte einer Harzstadt" 1131 als möglich gelistet doch sei die Urkunde gefälscht und es fehlt das erste "n". 1157 wird als vertrauenswürdig angesehen. In der Urkunde von 1157 heißt es Langeneze****. Langeneze gilt als ursprünglicher Name Langelsheims.

Die heutige Form (-heim) ist jung; auszugehen ist von "Lang-nes-". "Nes" bedeutet: "Vorgebirge", "Landzunge", Ostfriesisch "nesse" bedeutet "steile Küste", "Halbinsel", "Landzunge". Der Ortsname Langelsheim ist praktisch identisch mit dem der Insel (Hallig) Langeneß.
Quelle: Prof. Jürgen Udolph

Hannover, 1921, gibt Franz Teckhoff "Das Leben des Bischofs Meinwerk von Paderborn" die Vita Meinwerci kommentiert heraus. Meinwerk war von 1009 bis 1036 Bischof in Paderborn. Sein Leben wurde von einem ungenannten Mönch des Klosters Abdinghof bei Paderborn gut 100 Jahre später, 1155-1165, verfaßt. Teckhoff geht davon aus, daß der Verfasser der Vita Meinwerci, die genannten Urkunden vorliegen hatte.

Auf S. 62 der Vita Meinwerci findet sich dieser Satz

Comparavit quoque apud Thiedricum et suam uxorem Geppan in Goslaria duas familias in Lanchel per advocatum suum Amulungum; qui presente Benna, Udone comitibus et Hecelino calvo VII uncias auri et III libras denariorum eis pro eis dedit.
Unkommentierte Fassung → 98.

Stolte (1982) hat das so interpretiert:

Die Urkundenforschung hat nun in neuerer Zeit den Ortsnamen „Lanchel“ aus der Vita Meinwerci (um 1016) ans Licht geholt und auf Langelsheim bezogen:
Danach kaufte ein Vogt Amelung für die Kirche Paderborn 2 familiae in „Lanchel“ in Gegenwart der Grafen Benno und Udo von einem Dietrich und seiner Gattin Geppa in Goslar.
und schloß daraus:
Ließe sich die Beziehung erhärten, so könnte Langelsheim in wenigen Jahrzehnten sein 1000-Jahr-Feier begehen.

Die wenigen Jahrzehnte sind fast vorbei: 2016 soll es soweit sein. 975 Jahre wurden 1991 gefeiert. Ein Exemplar der Festschrift gibt es u.a. hier.

Sind Lanchel und Langelsheim der gleiche Ort? Fragen wir die

Namenforschung

Beim NDR erklärt Prof. Jürgen Udolph täglich die Bedeutung Ihres Wohnort-Namens. Dort findet sich auch Langelsheim.

Ich habe ihn direkt gefragt. Seine Antwort: … 1016 Lanchel gehört ziemlich sicher nicht zu Langelsheim.

Ansonsten ist seine Auflistung der Entwicklung des Namens Langelsheim gleich der bei Stolte 1982 und hier auf dem linken Rand nachzulesen.

Übersetzung

Beim weiteren Stöbern fand ich in der "Regesta Historiae Westfaliae" eine ähnlich lautende Stelle zum Verkauf der 2 familiae an Bischof Meinwerk

XXVII. Episcopus comparauit ad Tiedricum et ad suam vxorem Geppam in Gosleri IL familias in Lanchel, cum VII. unciis auri et III. libris denariorum. Amulunc fecit traditioncm. Hoc uidebat Benna comes. Vda comes. Hecil caluus.
dort übersetzt zu
855. Bischof Meimoerk kauft von Tiedrich und dessen Ehefrau Geppa zu Goslar, 2 Familien zu Lanchel.

Ich lese den Text* und verstehe ihn so:

  • die Verkäufer Tiedrich (Diedrich) und Geppa sind aus Goslar
  • sie verkauften 2 familiae** ( = 2 Bauernhöfe mit Gesinde) die sie in Lanchel besaßen
  • für die 2 familiae hat Meinwerk 7 Unzen Gold und 3 Pfund Denarii*** bezahlt
  • der Advokat Amulung (Amelung) hat das Geschäft durchgeführt – in Anwesenheit von Benna, Udone und dem kahlen Hecelino

Fragen

  1. Lanchel und Goslar kommen im gleichen Satz vor. Wird eine Beziehung zwischen den beiden Orten hergestellt? Nein, weder grammatisch noch geografisch.
  2. Warum sollten Tiedrich und Geppa Bauernhöfe aus der Nähe ihres Wohnortes Goslar verkaufen?
  3. Hat Meinwerk noch mehr Besitz in unserer Region gekauft?

Wo suchen?

Digitized Medieval Manuscripts Map

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Conclusio

Lanchel paßt nicht in die Entwicklung des Namens Langelsheim, es ist keine Vorform zu Langeneze!

Es gibt keine Urkunde, die eine Existenz Langelsheims um 1016 n. Chr. belegt. Schade! 1131 ist eine gefälschte Urkunde und dem Namen Laggenize fehlt ein n. 1157 scheint sicher und der Name Langeneze passt.

Wir könnten in 10 Jahren 1222-Jahre Kansteinburg feiern. Oder wir nutzen 2017 für die durch eine Urkunde belegte erste Erwähnung des Ortes Langeneze und feiern 860-Jahre-Langelsheim. Zur 900-Jahr-Feier 2057 bin ich zu alt und an der 1000-Jahr-Feier 2157 ist niemand mehr dabei, den ich kenne.

Prof. Jürgen Udolph zuletzt am 11. Mai 2012:

Zu den Belegen: entscheidend ist, ob der Beleg von 1016 Lanchel hierher gehört; die weitere Überlieferung ist weniger unproblematisch, im Gw. erscheint -ize, -enze, -ennez usw.; hem, -heim setzt erst spät ein, so etwas um 1500 Langesßem, um 1550 Langessem usw.

  1. alt Langenizze, „dessen GW -nisse „Vorsprung“ noch 1476 in der Form Langenesse erkennbar war, 1578 aber bereits durch heim ersetzt war“ (Flechsig, Quellen 87); Zu nisse „Vorsprung im Gelände“, wortverwandt mit Nase, + lang (O. Hahne, Braunschweigische Heimat 36(1950)96), Hahne weist hin auf Halgenesse, 1124 wüst bei Stadtoldendorf, Nesse bei Rinteln und in Dithmarschen, Blankenese, 1302 blankenise, und in Holland Scarpenisse, Stavenisse;
  2. Stolte/Stolte 25: -nisse, noch 1476 als -nesse erkennbar, bedeutet Landvorsprung, Vorgebirge und ist vor allem an der Nordseeküste, in Skandinavien und in England heimisch (Flechsig 62); weiter typisch: „Die Ortsnamen scheinen also davon zu berichten, wie sich eine sächsische Herrenschicht von Norden her allmählich über das bereits dünn besiedelte Gebiet bis an den Harzrand geschoben hat ...“; zur Deutung des Namens auch Stolte/Stolte 25: im ersten Teil möglicherweise lag(e), vor allem wegen der Schreibungen Laggenisse u.V.
  3. Förstemann II,2,29 sieht in dem Namen offenbar Langen-esch (zu Esch „Dorfflur“ usw.);

Deutung: der Beleg von 1016 (Kopie!) überzeugt mich nicht; am ehesten zu dt. lang und dem immer wieder herangezogenen Gw. nes „Vorgebirge, Landzunge“, vgl. Pokorny, IEW. 755 s.v. nas- „Nase“, vgl. besonders ags. nôse „Vorgebirge“, anord. n#,os „Nase(nloch), vorspringende Klippe“, næs- im Kompositum, z.B. ano. nes, Gen.Pl. nesja „Vorgebirge, Landzunge“, russ. nos „Nase, Vorgebirge“; zum dt. Namenmaterial s. Förstemann II,2,372: „Nas. zu nl. nes, ostfries. nesse 'steile Küste, Halbinsel, Landzunge'„, z.B. in Blankenese, Fronenes, Nesse (Wg. bei Emden), 890 Nasse; vgl. auch Förstemann II,2,377 s.v. Nes, als zweiter Teil in Vornesse, Hontenesse, Lampernessa, Marenesse, Morlodonesse, Warachnes, weiter in De Nes, Insel in Vreeland bei Utrecht, um 960 Nesse; Wüstung Nesse bei Wilster, 1164 Nesse.

Vgl. ferner schwed. näs usw. „Nase, Landzunge“ (dazu B. Lindén, NoB. 55,1967,91-108); ON. Nesse, Kr. Geestemünde, um 1500 van Nesse, to Nesse (Rode 172,185);.

Detlefsen I: „... Ortsbezeichnung Nesse, die wir auf die Schleife der Wilsterau südlich von der Stadt bezogen ... Wir fanden ihn ... etwas oberhalb Wilsters wieder, ebenso bei Bekdorf ... er kommt auch dreimal an der Krempau vor ... Das Wort kehrt ... häufig als Ortsname in Holland wieder, ebenfalls in Belgien (De Borchgrave, Hist. de colonies belges, 308 führt dort Ossenesse, Hontenesse, Gusternesse, Heedenesse, Bornesse, Lampernesse an), an der un-teren Ems in Norden, wo ein größerer Bezirk das Nesserland heißt“;

Van den Bergh, Handboek der meddel-nederlandsche geographie, 2. Aufl. 1872, nennt in der Provinz Seeland ein Nisse, dann im Jahre 1209 Gervarsnesse, 1253 Rienesse, 1206 Scarpenisse und Stavenisse, 1253 Valkenisse, in Utrecht 1269 Elmnes, in Friesland 1389 einfaches Nes.

Vgl. vor allem Insel (Hallig) Langeneß, 1488 vppe deme Langeneße, 15.Jh. Langeneß, „mnd. *to der langen nesse = 'zur langen Nase, zum langen Vorsprung'„ (Laur 139), vgl. auch ebda. 154 zu Nesse;

Dr. Birgit Meineke, Projekt: „Ortsnamen zwischen Rhein und Elbe – Onomastik im europäischen Raum“

In der Vita Meinwerci erscheinen an drei Textstellen die folgenden Namenformen: Lanchel (cap. XLIII, sicher Beleg für Schlangen, Kr. Paderborn)
Langal (cap. LXV, wahrscheinlich Beleg für einen Ortspunkt im Raum Paderborn )
Lanchel (cap. CXXVIII, wahrscheinlich Beleg für einen Ortspunkt im Raum Goslar)

Tatsächlich ist der in Rede stehende, dritte Beleg der Vita Meinwerci aus namenkundlicher/sprachhistorischer Sicht, auch in Hinblick auf die anderen Varianten sicherer historischer Belege für Langelsheim (diese Form seit 1578), nicht verläßlich mit Langelsheim zu verbinden.

* ich kann lesen, habe mit meinem Latein Geld verdient:
Verzeichnis der Briefe an Joh. Schilter (1632-1705) in der Universitätsbibliothek Gießen (Cod. Giess. 140, 141 und 142)
1979 hätte ich ein iPhone gut gebrauchen können!

** Bedeutung: familia, familiae
1. Bewohner, Volk des Hauses, das Haus selbst, der Hof;
2. Familie, Gesinde, Familienbesitz; Sippe, Stamm;
4. in Rom: Sklaven, Knechtschaft.
Die eigentliche Bedeutung ergibt sich aus dem Kontext.

*** Denarius sind römische Münzen. Waren die römischen Münzen noch im Umlauf oder hat nur deren Bezeichnung für einen 10-er Wert überlebt?
P.S.: Die Römer haben am Harzhorn bei Northeim eine Schlacht geschlagen und viel Geld liegen lassen. Das war um 230 - 240 n. Chr.

**** stammt Viktor Emil Heinrich Langnese oder einer seiner Vorfahren aus Langelsheim/Langeneze?

Das wahre Lanchel?

Zwei Lanchel stehen zur Auswahl:

Langeln in Sachsen-Anhalt, nördlich Wernigerode

Ausführung Prof. Dr. Jürgen Udolph am 27.6.2012 in Bad Harzburg:

Langeln_WR

Macht das Sinn? Kauft ein Bischof in Paderborn Land bei Wernigerode? Warum? Hat er noch mehr in dieser Region gekauft?

Und das Lanchel, das heute die Gemeinde Schlangen bei Paderborn ist.
Von Lanchel nach Schlangen.

In der Wikipedia heißt es unter Frühgeschichte und erste Nennung

Schlangen wird gemeinsam mit seinen Ortsteilen Kohlstädt und Oesterholz-Haustenbeck in der Lebensbeschreibung des Bischofs Meinwerk von Paderborn erstmals erwähnt. Die Nonne Oda zu Geseke übergab damals ihr Erbgut in den Dörfern Lanchel (Schlangen), Astanholte (Oesterholz) und Colstidi (Kohlstädt) an die Kirche zu Paderborn.

Auch hier wird sich auf die Vita Meinwerci berufen.

Weitere Quelle: "Regesta Historiae Westfaliae" hier die Übersetzung:

787. Odn, Nonne zu Gesike, übergibt, mit Einwilligung ihres Bruders Richard, ihr Erbgut in den Dörfern und der Mark Colslidi, Astanholte, Lanchel und im ganzen Pathergau, wofür B. Meinwerk ihr den Zelienten von 10 Pflügen aus benachbarten Orten u. a. m. anweist, ihrem Bruder aber ein Pferd gibt; in Gegenwart des Propstes Hosad, des kaiserl. Kapellans Ecilin, des Grafen Anmlimg u. A. V. M. 1 c. p. 530. Nr. 14.

Auch hier war beim Verkauf Graf Amelung (Anmlimg) zugegen.
Wo ist der Pathergau? Dort ist Lanchel!

Amazon hat noch Exemplare 2 der Festschrift

Lanchel, Colstidi, Astanholte : Beiträge zur Geschichte der Ortschaften Schlangen, Kohlstädt und Oesterholz-Haustenbeck, [1894 - 1969, zum 75jährigen Jubiläum d. Spar- u. Darlehnskasse Schlangen].

Dr. Meineke meint, die drei Erwähnung von Lanchel in der Vita Meinwerci beträfen nicht nur Schlangen bei Paderborn.

Noch eine These

… dass mit „Lancheln“ ein Ort namens Langeln bei Medebach im Sauerland gemeint ist.

Von Langeln bei Medebach sind es 66 km bis Paderborn. Von Langelsheim nach Paderborn sind es 150 km. Von Paderborn nach Schlangen 13,5 km.

Auch die folgende Ableitung ersetzt keinen urkundlichen Beleg:

Dieser Ort liegt in der historischen Grafschaft Amelung, etwa 50 km südlich von Paderborn und 10 km vor Winterberg im Sauerland. Aus diesem Gebiet, dem südlichen Sauerland, fand die Umsiedlung von Berg- und Hüttenleuten in unser Gebiet statt. Die bislang im Nordharz unbekannten Technologien dieser sogenannten „Franken“ ermöglichten es, aus den bleihaltigen Melierterzen des Rammelsbergs Blei und Silber zu gewinnen.

… die einer Prüfung nicht standhält.