Langfassung


MVA-Antrag kann Planungsbedarf auslösen

und Erlass einer Veränderungssperre rechtfertigen


Mit Anmerkungen von Jürgen Wrona


1) Es ist einer Gemeinde nicht verwehrt, auf einen baurechtlichen bzw. immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrag (hier: Errichtung einer Müllverbrennungsanlage) mit der Aufstellung eines Bebauungsplanes zu reagieren, der dem Antrag die materielle Grundlage entzieht.


2) Die Wirksamkeit einer Veränderungssperre kann nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die für den Bebauungsplan erst in einem späteren Stadium des Planaufstellungsverfahrens vorliegen müssen. Eine detaillierte und abgewogene Planung ist nicht erforderlich.


3) Eine Ausnahme von der Veränderungssperre kommt bereits dann nicht mehr in Betracht, wenn ein Vorhaben möglicherweise mit dem Konzept der Bebauungsplanung kollidieren kann. 


4) Ein Industriegebiet kann dahingehend gegliedert und überplant werden, dass nicht das gesamte Spektrum industrieller Nutzungen zulässig ist. Teilbereiche eines Industriegebietes, in denen sich nicht industrietypische Nutzungen entwickelt haben, können zu Gewerbe- oder Mischgebieten abgestuft werden.


5) Die Planungsziele (z.B. schalltechnische Kontingentierung bzw. Festlegung flächenbezogener Schallleistungspegel, Begrenzung der Bauhöhen) können es ohne Weiteres rechtfertigen, auch bereits bebaute Bebauungsplanbereiche zu überplanen.


(Leitsätze des Verfassers)


OVG Münster, Urteil vom 27.03.2009 – 7 D 103/08.NE


Zum Sachverhalt:


Die „KMG Kraftwerksgesellschaft Mönkeloh GmbH & Co. KG“(kurz: KMG), ein Unternehmen der Stratmann-Gruppe (Bestwig), hat im Dezember 2006 bzw. im Dezember 2007 die Errichtung einer Anlage zur Verbrennung von heizwertreichen Ersatzbrennstoffen aus Müll (Müllverbrennungsanlage, kurz: MVA) im Paderborner Industriegebiet Mönkeloh beantragt. Das Vorhaben soll auf einem Grundstück realisiert werden, das sich im Eigentum der „Stratmann Immobiliengesellschaft GmbH & Co. KG“ befindet. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 62 „Halberstädter Straße“, der aus den 1970er Jahren stammt. Für dieses Plangebiet und die weitere Umgebung mit einer Gesamtfläche von ca. 980 Hektar hat die Stadt Paderborn eine „Rahmenplanung zur schalltechnischen Gliederung der Gewerbe- und Industriegebiete im Südwesten von Paderborn“ sowie ein nach Prioritäten abgestuftes Handlungskonzept für den Gesamtbereich in Auftrag gegeben.


Auf Grundlage dieser Unterlagen hat der Rat der Stadt Paderborn im August 2008 für den Bereich des Bebauungsplanes Nr. 62 und einen Teilbereich des angrenzenden Bebauungsplanes Nr. 1 die Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes Nr. 280 beschlossen und eine Veränderungssperre erlassen. Die KMG hat daraufhin beim OVG Münster einen Normenkontrollantrag gegen diese Veränderungssperre und bei der Bezirksregierung Detmold eine Ausnahme von der Veränderungssperre beantragt. Zum Antrag auf Ausnahmegenehmigung hat der Rat der Stadt Paderborn sein Einvernehmen im Dezember 2008 versagt. Daraufhin hat die Bezirksregierung Detmold den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrag der KMG zur Errichtung der MVA mit Hinweis auf entgegenstehende bauplanungsrechtliche Belange abgelehnt. Die KMG hat beim OVG Münster Klage gegen diesen Ablehnungsbescheid erhoben (Az. 8 D 144/08.AK), die noch anhängig ist. 


Die Stadt Paderborn hat die Planneuaufstellung mit Veränderungssperre wie folgt begründet:

Aktualisierung der Nutzungsgliederung, schalltechnische Kontingentierung, Erarbeitung eines Stellplatzkonzepts, Klärung der Erschließungsverhältnisse und Verkehrsflächen, Prüfung der Bauhöhenfestsetzungen, Gestaltungsregelungen für Werbeanlagen und Hochregallager, Überarbeitung der Regelung zur Ein- bzw. Durchgrünung, Steuerung des zentren- und nahversorgungsrelevanten Einzelhandels gemäß Einzelhandelskonzept der Stadt Paderborn, das im Entwurf vorliegt. 


Die KMG - vertreten durch Dr. Andrea Versteyl (Berlin) - macht geltend, es gebe keinen Planungsbedarf und die Stadt Paderborn habe keine ernsthaften Planungsabsichten. Das Plangebiet sei mit Ausnahme von zwei kleineren Teilbereichen - darunter das Grundstück für die MVA-Planung - bereits bebaut. Der Rat der Stadt habe die Bebauungsplan-Änderung auf Druck der MVA-Gegner beschlossen (Anm: Gegen die MVA-Planung sind 45.000 Einwendungen erhoben worden). Die Stadt betreibe eine rechtsmissbräuchliche Verhinderungsplanung gegen die MVA, was sich auch daraus ergebe, dass die Veränderungssperre erst nach Abschluss des Erörterungstermins für die MVA und kurz vor Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung beschlossen worden sei. Die Stadt beabsichtige keine ernsthafte schalltechnische Gliederung, eine Bestandserfassung sämtlicher Nutzungen innerhalb der Wirksamkeit einer Veränderungssperre sei nicht zu leisten. Außerdem sei die geplante MVA schalltechnisch irrelevant, so dass eine Ausnahme von der Veränderungssperre berechtigt sei. 


Die Stadt Paderborn - vertreten durch Dr. Georg Hünnekens von „Rechtsanwälte Dr. Baumeister“ (Münster) - hält entgegen, seit längerer Zeit werde die Absicht verfolgt, das Plangebiet einer städtebaulichen Neuordnung zu unterziehen. Diese Absicht sei durch die MVA-Planung aktualisiert worden. Der mehr als 30 Jahre alte Bebauungsplan enthalte keine immissionswirksamen Festlegungen. Die Festsetzung von flächenbezogenen Schallleistungspegeln bzw. Emissionskontingenten sei ein geeignetes Instrument zur Bewältigung planerischer Konflikte. Das gelte angesichts baulicher oder nutzungsbezogener Erweiterungen auch für bereits bebaute Gebiete. Das Einzelhandels- und Zentrenkonzept solle im Plangebiet umgesetzt werden. Erschließungskonflikte müssten beseitigt werden. Auch das MVA-Gelände habe ein Erschließungsdefizit, das durch eine planungsrechtlich problematische Grundstücksteilung entstanden sei. Die bislang zulässige Bauhöhe von ca. 120 m sei städtebaulich nicht mehr vertretbar, zumal das Westfälische Amt für Denkmalpflege wegen einer wichtigen Blickachse auf die historische Stadtsilhouette von Paderborn eine Beschränkung der Bauhöhen gefordert habe. Im Plangebiet hätten sich auch Wohn- und Büronutzungen angesiedelt. Diese Teilbereiche ohne industrietypische Nutzung sollen planungsrechtlich legalisiert und künftig als Gewerbe- oder Mischgebiet ausgewiesen werden. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Veränderungssperre lägen nicht vor, da das Vorhaben die Bebauungsplanung wesentlich erschweren würde. Eine abstrakte Gefährdung der Planungsziele sei ausreichend, um ein Sicherungsbedürfnis auszulösen und eine Ausnahme von der Veränderungssperre zu verwehren. 


Aus den Gründen:


Der Antrag ist zulässig. Die KMG ist antragsbefugt, da sie das Recht hat, die zur Bebauung vorgesehenen Grundstücke jederzeit zu erwerben. Der Antrag ist jedoch unbegründet.


Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre sind gegeben. Die zu sichernde Planung hat einen Stand erreicht, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplanes sein soll. Ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept kann nicht gefordert werden. Das Plankonzept muss nicht bereits derart konkretisiert sein, dass ein Vorhaben in jeglicher Hinsicht auf seine Vereinbarkeit mit den künftigen Festsetzungen eines Bebauungsplanes geprüft werden kann. Die Wirksamkeit der Veränderungssperre kann nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die für den Bebauungsplan erst in einem späteren Stadium des Planaufstellungsverfahrens vorliegen müssen. Es ist gerade Sinn der Vorschriften über die Planaufstellung, dass der Bebauungsplan innerhalb des Planungsverfahrens erst erarbeitet wird. Eine Ausnahme von der Veränderungssperre kommt bereits dann nicht mehr in Betracht, wenn ein Vorhaben möglicherweise mit dem Konzept der Bebauungsplanung kollidieren kann. 


Die Unterlagen der Stadt machen hinreichend deutlich, in welche Richtung die Entwicklung des Gebietes beabsichtigt ist. Selbstverständlich kann auch ein Industriegebiet dahingehend gegliedert werden, dass nicht das gesamte Spektrum industrieller Nutzungen zulässig ist. Ohne schalltechnische Gliederung und Kontingentierung könnte nach dem „Windhundprinzip“ bereits ein einzelnes Vorhaben das Immissionspotential ausschöpfen und damit anderen Grundeigentümern andernorts im Gebiet die Möglichkeit zur Errichtung anderer Vorhaben oder zur Erweiterung von Nutzungen nehmen. Die Ziele können es ohne Weiteres rechtfertigen, auch bereits bebaute Bebauungsplanbereiche mit entsprechenden Festsetzungen zu überplanen. 


Die Stadt hat belegt, dass sie an einer umfangreichen schalltechnischen Bestandserfassung arbeitet, die auch Voraussetzung für die beabsichtigte Bebauungsplanung und eine abwägungsgerechte Entscheidung sein dürfte. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Erfassung während der Gültigkeit der Veränderungssperre (zwei Jahre. bzw. bis zu vier Jahren bei besonderen Umständen) nicht abgeschlossen werden sollte. Eine Mitwirkungsbereitschaft der betroffenen Betriebe ist wahrscheinlich, da die vorgesehene Schallkontingentierung letztlich dem Gewerbestandort insgesamt zugute kommen dürfte. Aber auch ohne Mitwirkungsbereitschaft könnte die Stadt den Betrieb gewissermaßen typisierend in der Abwägung einer möglichen Schallkontingentierung berücksichtigen. 


Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Stadt für Teilbereiche die Ausweisung von Gewerbe- oder Mischgebieten anstelle eines Industriegebietes erwägt, in denen sich Nutzungen eines gewissen Gewichts entwickelt haben, die in einem Industriegebiet nicht zulässig sind. Der Rat der Stadt ist nicht daran gehindert, tatsächlich vorhandene Nutzungen im Hinblick auf sein städtebauliches Konzept daraufhin zu überprüfen, ob sie legalisiert werden sollen. Die Veränderungssperre ist geeignet zu verhindern, dass die planerische Umsetzung derartiger Erwägungen durch die Entwicklung gewerblicher oder industrieller Nutzungen erschwert wird. Ob das Grundstück, auf dem die MVA errichtet werden soll, einem unbeschränkt nutzbaren Industriegebiet zugeordnet bleibt oder abgestuft wird, wird am Ende des Bebauungsplanverfahrens zu beurteilen sein.


Auch das Einzelhandelskonzept der Stadt berechtigt zur Prüfung, in welchem Umfang der vorhandene Einzelhandel bzw. die weitere Entwicklung des Einzelhandels im Plangebiet ausgeschlossen oder inhaltlich gesteuert werden kann. 


Städtebaulich legitim ist auch das Anliegen, die mögliche Höhe der im Bebauungsplangebiet zulässigen Anlagen zu steuern. Die Stadt hat ausgeführt, es seien Regelungen zur Höhenentwicklung angedacht. Je nach Örtlichkeit und Sichtbeziehungen kann in Betracht kommen, in verschiedenen Gebietsbereichen zu differenzieren. Es ist auch möglich, die zulässige Höhe baulicher Anlagen auf ein Maß zu beschränken, das hinter der von einzelnen Anlagen erreichten Höhe zurückbleibt. Dagegen spricht auch nicht, dass im Plangebiet bereits Vorhaben verwirklicht worden sind (u.a. Windkraftanlagen), die den Absichten der Stadt zuwiderlaufen. Der Rat der Stadt ist nicht gehindert, einer von ihm möglicherweise spät erkannten Fehlentwicklung künftig noch zu begegnen. Da die geplante MVA durchaus beachtliche Ausmaße hat und in ihrer Massivität mit einer Windkraftanlage nicht vergleichbar ist, könnte sie Anlass zu Erwägungen geben, ob eine Höhenbegrenzung städtebaulich erforderlich ist. 


Gegenstand des Bebauungsplanverfahrens sollen auch die Grünflächenfestsetzungen sein. Die KMG beabsichtigt, eine im Bebauungsplan Nr. 62 festgesetzte Grünfläche mit einer Zufahrt zu überlagern. Ob eine solche Überlagerung nach sachgerechter Abwägung zulässig ist, bleibt abzuwarten. Es ist ein durchaus denkbares Ergebnis des Bebauungsplanverfahrens, die Grünflächenfestsetzung mit der Bindung „nicht überfahrbar“ vorzusehen. 


Es bestehen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, die Veränderungssperre sei nur vorgeschoben. Eine – unzulässige – Negativplanung liegt nur dann vor, wenn die Planung sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben bzw. Nutzungen auszuschließen, oder wenn sie nicht dem planerischen Willen der Gemeinde entspricht, sondern nur vorgeschoben ist, um eine andere Nutzung zu verhindern. Es ist der Gemeinde nicht verwehrt, auf baurechtliche (bzw. – wie hier – immissionsschutzrechtliche) Genehmigungsanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplanes zu reagieren, der diesen die materielle Grundlage entziehen könnte. Die entgegenstehenden Einwendungen der Antragstellerinnen vermögen nicht zu überzeugen. Auch die Erteilung von Baugenehmigungen für andere Vorhaben ist kein Beleg für einen angeblich fehlenden Planungswillen und die Absicht einer Verhinderungsplanung, da es hauptsächlich um Betriebe geht, die deutlich vor Inkrafttreten der Veränderungssperre genehmigt worden sind. Später genehmigte Vorhaben sind entweder lärmtechnisch bedeutungslos oder schalltechnisch bereits untersucht und begleitet worden. Aus den erteilten Baugenehmigungen kann somit nicht geschlossen werden, die Stadt habe vollendete Tatsachen geschaffen und betreibe eine Verhinderungsplanung gegen die MVA. 


Die Revision ist nicht zuzulassen. Der Streitwert wird auf 20.000 Euro festgesetzt.


Anmerkungen des Verfassers


Der Bau einer Müllverbrennungsanlage (MVA) – schönfärberisch als „Heizkraftwerk“, „Industriekraftwerk“, „Ersatzbrennstoffkraftwerk“ o.ä. bezeichnet – stößt nach wie vor auf eine breite Ablehnung der Öffentlichkeit. Dies gilt insbesondere angesichts von Verbrennungsüberkapazitäten bzw. eines Mangels an Brennstoffen aus Müll, grenzüberschreitenden Abfallimporten, Verkehrsbelastungen durch Mülltourismus und vermeidbaren Emissionen durch den Einsatz technisch primitiver Rauchgasreinigungsanlagen, bei denen der Schadstoffausstoß um ein Vielfaches höher ist als in Anlagen, die in den 1980-90er Jahren errichtet worden sind und über effektive Filteranlagen (Katalysatoren, Nasswäschern, Vorentstaubung) verfügen. 


Politiker/innen verweisen zwar gern auf die in Deutschland angeblich strengsten Grenzwerte, verschweigen aber, dass die genehmigungsrechtlichen Anforderungen an den Bau von Müllöfen seit Beginn der 1990er Jahre durch verschiedene Beschleunigungs- und Investitionserleichterungsgesetze sowie Erlass neuer Verordnungen, technischer Richtlinien und Verwaltungsvorschriften zum Teil deutlich heruntergeschraubt worden sind. So können in Deutschland Anlagen in Betrieb genommen werden, die im europäischen Ausland teilweise nicht genehmigungsfähig wären. Selbst technisch minderwertige und mit gravierenden Planungsfehlern behaftete Vorhaben werden in Deutschland immissionsschutzrechtlich regelmäßig genehmigt, wobei einige Genehmigungsbehörden einen geradezu vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Antragstellern an den Tag legen. Und die nach einer Genehmigungserteilung angerufenen Verwaltungsgerichte bestätigen das Verwaltungshandeln regelmäßig, sofern die laschen gesetzlichen und technischen Anforderungen auf dem Papier eingehalten werden. Nach der Inbetriebnahme einer MVA sind dann mangelnde Kontrollen der angelieferten Brennstoffe aus Müll und behördliche Defizite bei der Betriebsüberwachung an der Tagesordnung, so dass ein Großteil der MVA die zulässigen Emissionsgrenzwerte - insbesondere für Quecksilber - zumindest zeitweise nicht einhält.


Welche Möglichkeiten bestehen vor Ort, gegen die Errichtung eines Müllofens vorzugehen? Nicht nur der „Fall Paderborn-Mönkeloh“ bestätigt: Immissionsschutzrechtlich sind selbst grob fehlerhaft geplante MVA mit primitiver Rauchgasreinigungstechnik und unvollständigen Antragsunterlagen nicht zu stoppen. Das wirksamste - häufig das einzige - Schwert gegen eine MVA-Planung sind die planungsrechtlichen Belange der Standortgemeinde in Gestalt einer Neuaufstellung des Bebauungsplanes mit Erlass einer Veränderungssperre. Insofern kommt einer Allianz mit der Standortgemeinde eine alles überragende Bedeutung zu. Müllofen-Gegner müssen daher unbedingt den Schulterschluss mit den Entscheidungsträgern in der Kommune suchen. Das erfordert auf Seiten der MVA-Gegner auch die Bereitschaft, auf die Lokalpolitik bzw. kommunalen Verwaltungen zuzugehen, ggf. Abstriche von Maximalforderungen bzw. Grundsatzpositionen zu machen und Kompromisse zu suchen.


Die Kommunalpolitik lässt sich allzu häufig von der plumpen Drohung ortsansässiger Industriebetriebe unter Druck setzen, ohne günstige Energie aus einer MVA drohten Produktionsverlagerungen und der Abbau von Arbeitsplätzen. Auch die dreiste Darstellung der Abfall- bzw. Energiewirtschaft und ihrer Handlanger im poltischen Raum, Müll sei ein nachwachsender Rohstoff bzw. eine erneuerbare Energie und Müllverbrennung diene dem Klimaschutz, fällt gerade bei wenig sachkundigen, fachlich überforderten Kommunalpolitikern häufig auf fruchtbaren Boden, ohne dass die dahinter stehenden sehr irdischen Interessen durchschaut und die geradezu perverse Logik „Mehr Müll machen für den Klimaschutz“ hinterfragt werden. Leider gelingt es MVA-Gegnern - teils mangels eigener Sachkunde, teils mangels finanzieller Potentiale - nicht immer, eine überzeugende Argumentation gegen professionelle, pseudo-wissenschaftliche Informationsoffensiven der Abfall- und Energiewirtschaft aufzubauen, zumal deren Lobbyisten sich gern als vermeintlich unabhängige Experten tarnen (Stichwort: „gekaufte Wissenschaft“).


Zudem sind MVA-Gegner - insbesondere engagierte Vertreter aus Umweltverbänden - gelegentlich nicht bereit oder fähig, einen Ausgleich mit kommunalen Entscheidungsträgern zu suchen. Sei es, weil sie Dauerfehden wegen anderer lokaler Umweltthemen führen oder weil sie der Hoffnung verfallen, eine MVA-Planung immissionsschutzrechtlich zu Fall zu bringen, ohne dass es kommunaler Unterstützung bedarf. Wie dem auch sei, sind sich engagierte „No-Burn-Vertreter/innen“ jedenfalls häufig nicht im klaren darüber, dass eine fundamentalistische Haltung und mangelnde Kompromissbereitschaft den Antragstellern in die Karten spielen und den Bau einer überflüssigen Billig-MVA mit primitiver Filteranlage unter Umständen erst ermöglichen.


In Paderborn wurde die MVA-Planung - wie auch in anderen Städten üblich - seitens der Verwaltung und Teilen der Politik anfangs mit Gleichgültigkeit bzw. Wohlwollen aufgenommen (Zitat: „Wir sind eine wirtschaftsfreundliche Stadt“) ohne zu erkennen, welche politische Brisanz und öffentliche Sprengkraft das Thema beinhaltet. Doch die Argumente und Aktionen der Umweltverbände und der Bürgerinitiative vermochten nicht nur die Bürger/innen zu überzeugen, sondern veranlassten auch die Stadt- und Kreisverwaltung sowie die Lokalpolitik über alle Parteigrenzen hinweg, sich - getragen von 45.000 Einwendern - eindeutig gegen die Anlagenplanung zu positionieren und mit Einwendungen, Sachverständigen, Gutachten, Rechtsbeiständen etc. aktiv in das Genehmigungsverfahren und den Erörterungstermin einzubringen. Die Stadt Paderborn hat dafür laut Aussage des Bürgermeisters mehr als 100.000 Euro aufgebracht und zudem die Aktivitäten der Bürgerinitiative mit einem Betrag von 10.000 Euro unterstützt.


Trotz dieses vorbildlichen Engagements gegen die MVA-Planung war die Bereitschaft der Stadtverwaltung, auch ihre planungsrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, lange Zeit nicht sehr groß. Neben dem erheblichen Arbeitsaufwand und den Kosten, die mit der Neuaufstellung eines Bebauungsplanes verbunden sind, kam die Sorge, an den komplexen städtebaulichen Gegebenheiten, die in den vergangenen 30 Jahren im Plangebiet gewachsen sind, rechtlich zu scheitern und dann ggf. Amtshaftungsansprüchen ausgesetzt zu sein.Auch die Scheu vor Auseinandersetzungen mit bereits ansässigen Betrieben spielte eine Rolle.


Die Bürgerinitiative hat sich daraufhin entschlossen, bei ihrem Rechtsanwalt Philipp Heinz (Berlin) eine Stellungnahme zu den planungsrechtlichen Gegebenheiten und den Handlungsmöglichkeiten der Stadt in Auftrag zu geben. Rechtsanwalt Heinz ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Stadt nicht nur das Recht, sondern angesichts unerwünschter Entwicklungen und bodenrechtlicher Spannungen im Plangebiet geradezu die Pflicht hat, den völlig veralteten Bebauungsplan aus den 1970er Jahren zu überarbeiten und die neue Bebauungsplanung mit einer Veränderungssperre abzusichern. Diese Stellungnahme und der öffentliche Druck der 45.000 Einwender auf die Stadt dürften die Entscheidungsträger ermutigt haben, ihre Vorbehalte gegen eine Bebauungsplanänderung aufzugeben und die planungsrechtlichen Möglichkeiten - d.h. Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes und Sicherung der Planung mit einer Veränderungssperre - auszuschöpfen. Die Verhandlung vor dem OVG Münster und die Urteilsgründe machen deutlich, dass die Stadtverwaltung die erforderlichen Schritte (Erfassung und Dokumentation der städtebaulichen Gegebenheiten, Erstellung einer schalltechnischen Rahmenplanung, Umgang mit vorliegenden Bauanträgen etc.) - begleitet von Dr. Hünnekens von der Kanzlei Baumeister - mit großer Umsicht und Akribie ausgeführt hat. 


Das OVG Münster hat vom Einzelhandelskonzept der Stadt Paderborn bis zur Legalisierung ungenehmigter Wohnnutzungen im Plangebiet gleich eine ganze Reihe tragender Gründe für eine Veränderungssperre gesehen und der Argumentation der KMG-Rechtsanwältin Dr. Andrea Versteyl auf ganzer Linie eine Abfuhr erteilt. Von ihrem Widerpart Dr. Hünnekens musste sich die KMG-Anwältin sogar „Unkenntnis der materiellen Anforderungen an eine Veränderungssperre“ vorhalten lassen. Diese Einschätzung hat das Gericht in der Urteilsbegründung eindrucksvoll bestätigt. Das Urteil des OVG Münster ist für die in Fachkreisen bekannte Juristin, die sich der Entsorgungs- und Energiewirtschaft gern andient und in Paderborn öffentlich damit gerühmt hat, bislang noch jedes MVA-Genehmigungsverfahren erfolgreich abgeschlossen zu haben, eine herbe juristische Schlappe, mit der sie auch an Renommee bei ihrer Klientel eingebüßt haben dürfte. 


Mit erfreulicher Deutlichkeit hat das Gericht aufgezeigt, welch breiten Handlungsspielraum - von einer Begrenzung der Bauhöhen im Plangebiet über eine Lärmkontingentierung bis zur Herabstufung von Teilbereichen eines Industriegebietes zu einem Gewerbe- oder Mischgebiet – eine Kommune als Planungsträger haben kann. Die Gegner des Müllofens erwarten jetzt von den Verantwortlichen der Stadt Paderborn, dass diese rechtlich zulässigen Möglichkeiten auch genutzt und ausgeschöpft werden.


Die antragstellenden Stratmann-Unternehmen - vertreten durch Frau Dr. Versteyl - haben Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Doch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Veränderungssperre ist gefestigt, und das OVG Münster hat diese Rechtsgrundsätze im konkreten Einzelfall rechtsfehlerfrei angewendet. Erwartungsgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Firma Stratmann gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom 24.09.2009 zurückgewiesen. Anhängig bleibt die Klage des Stratmann-Unternehmens „KMG Kraftwerksgesellschaft Mönkeloh GmbH & Co. KG“ gegen den Ablehnungsbescheid der Bezirksregierung Detmold. Aus den Anmerkungen und Hinweisen des OVG-Senats in der Urteilsbegründung lässt sich jedoch bereits ableiten, dass auch diese Klage keine Aussicht auf Erfolg hat.


Doch das Entsorgungsunternehmen Stratmann wird vorerst weiter die Gerichte bemühen und den bislang „verbrannten“ Verfahrenskosten (nach eigenen Angaben sollen es 5,5 Mio Euro sein) weiteres Geld hinterherwerfen. Das ist allein schon deswegen zu erwarten, weil Frau Dr. Versteyl ihren selbst formulierten Nimbus der Unbesiegbarkeit in Genehmigungsverfahren für Müllöfen nur durch Fortsetzung der Klageverfahren - mögen sie auch noch so sinn- und aussichtslos sein – ein Weilchen aufrechterhalten kann. Sollte ihr Auftraggeber – ebenso wie die Firma Müller Milch im sächsischen Leppersdorf – irgendwann die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens einsehen und den Müllofen-Antrag doch noch zurückziehen, könnten Frau Dr. Versteyl und das Paderborner Land damit wohl gleichermaßen gut leben. Geschröpft und mit einem ramponierten Image zurück bliebe dann allein die Firma Stratmann.


Jürgen Wrona

Geschäftsführender Gesellschafter der Fa. „Bau- und Umwelttechnik

Gesellschaft für ökologisches Investment mbH“ (Delbrück) und

Sprecher der Bürgerinitiative Mönkeloh e.V. (Paderborn)


Stand: 07.10.2009